Ein Monat Nabelschau
(Auflage: 24 Exemplare)
Art.Nr.00/24
Nabelschau: Im November 1999 hatte ich ein körperliches Problem:
Abends, beim Zubettgehen, als ich meine T-Shirts auszog, entdeckte ich öfters kleine Ansammlungen von Fusseln in meinem Bauchnabel. Offenbar war dies Abrieb, abgerubbelte Fasern des T-Shirt-Stoffs, Baumwolleflusen, die sich hier sammelten, festsetzten. Darauf einmal aufmerksam geworden, zeigte es sich, daß letztlich jeden Abend etwas von meinen Hemden sich auf- und abgelöst hatte, in meinem Nabel sich konservierte über den Tag, kleine Reservoires meiner Wäsche bildete und parasitisch an meinem Körper verblieb, sich Schlupf suchte. Mal waren das winzige Knödelchen, dicht und zu Würstlein gedrechselt, mal wolkig luftige Knäuel, gelegentlich kleine-Fingerkuppen-große Bollen, und über Tage und Wochen entdeckte ich, daß sie, von denen sie herrührten, die Farben meiner Shirts oder Polohemden getreulich wiedergaben: über die Woche zumeist geschäftsmäßig weiß, an den Wochenenden des öfteren grau, blau oder grün, je nach getragenem Kleidungsstück. Auch rote gab es, ganz wenige schwarze. – Gab es einen Nexus zwischen gepuhlter Menge und Arbeitsamkeit über den Tag? Und wohin mit den Batzen? Rasch noch einmal vorm Schlaf- ins Badezimmer – ins Waschbecken also damit und weggespült? In den Mülleimer der Küche bringen? Klo? Am Bett fallen und dem allsamstäglichen Gang mit dem Staubsauger zum Fraß lassen?
Beim schlurfenden Weg zum Kücheneimer fiel mein Blick auf eine kleine alte Büchse, Edelbitterschokoladendöschen, das hübsch anzusehen, aber noch ohne Verwendungszweck geblieben war – schwups. Hinein mit dem Knödel. Dem sich dann über die Tage, Abende, Wochen die bunte, gestaltreiche Vielfalt meiner Ausbeuten zugesellte. Eine alberne Nabelschau, dachte ich eines Abends, vergnügt schmunzelnd über meine Pflückungen und Konserierungen, die Rettung der sich aufreibenden T-Shirts.
Als ich den Weichnachtsnachmittag 2007 allein verbrachte, besinnlich gegen das Jahresende denkend, beschloß ich, »Ein Jahr Nabelschau« aufzukleben und zum Abschluß des Jahres zu rahmen. Später folgten einige Kästen und Rahmen mit Nabelschau-Wochen und Nabelschau-Monaten, sorgfältig beschriftet nach Tag und Jahr. Die Wochen hielten nicht stand, die Monate sehr wohl, die Sache bekam System, das Phänomen hatten seinen Namen – mein körperliches Problem war gelöst.
Die Frauen in meinem Leben, soweit sie seither den Moment des T-Shirt-Ausziehens mit mir teilten, fanden das sehr skurril. Wie auch immer, die Ausbeute blieb: unvermindert über die Jahre füllen sich die Bauchnäbel meiner Tage mit Knödeln aus Baumwolle und sonstigem Textil, meine Körperwäsche löst sich auf, unmerklich, aber sichtbar, und die Nabelschau gedeiht.